Wir wollen Nairobi in eine Fahrradstadt verwandeln
Cyprine Odada organisiert die größte Fahrradbewegung Afrikas. Ein Gespräch über gefährliche Straßen, gemeinsames Pendeln zur Arbeit und wie sie als hochschwangere Radlerin ein Tabu in Nairobi brach.
Fahrradheld:innen
November 2024
In Nairobi dominieren Autos und Minibusse den Verkehr, Radfahrende sind selten zu sehen. Cyprine Odada will das ändern. Die Stadtplanerin organisiert seit einem Jahrzehnt die „Critical Mass“ in Kenias Hauptstadt: Monatliche Fahrrad-Demonstrationen für eine bessere Infrastruktur und kulturellen Wandel.
Frau Odada, Ihre „Critical Mass“ in Nairobi begann 2014 mit einer Handvoll Radfahrer:innen. Was ist daraus geworden?
Wir sind zur größten Fahrradbewegung Afrikas gewachsen, mit über 1.000 Radfahrer:innen. Jeden Monat fahren wir gemeinsam durch die Stadt, nach dem Motto „Wir sind der Verkehr“. Es ist uns wichtig, dass sich jede und jeder, unabhängig von der Herkunft, in unserer Fahrrad-Gemeinschaft willkommen fühlt. Darüber hinaus sind wir ein Katalysator für gesellschaftlichen Wandel geworden und setzen uns für politische Reformen ein.
Was wollen Sie erreichen?
Vor allem sichere Straßen für Radfahrende. Momentan ist das Radfahren in Nairobi noch sehr gefährlich. Wir setzen uns für Radwege und gemeinsame Straßennutzung ein. Aber es geht auch um Gemeinschaft: Mit Initiativen wie „Kenya Cycling Women“ fördern wir gezielt Radfahrerinnen, mit „Toto Mass“ ermutigen wir Kinder zum Radfahren. Und wir sehen bereits erste Erfolge.
Erzählen Sie von Ihren Erfolgen…
Radfahrende sind in Nairobi deutlich sichtbarer geworden. Ein Highlight ist unser „Bike Train“-Modell, bei dem Menschen in Gruppen zur Arbeit pendeln – eine simple, aber wirkungsvolle Idee für mehr Sicherheit. Nächstes Jahr starten wir ein Projekt für sichere Schulwege.
Auch politisch haben wir Erfolge: Es gibt einen Gesetzentwurf im kenianischen Parlament, der Infrastruktur für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen in ganz Kenia fordert.
Können Sie uns erklären, wie das „Bike Train“-Modell funktioniert?
Kolleg:innen schließen sich zusammen, pendeln gemeinsam zum Job. Das ist sicherer und macht mehr Spaß. Denn in Nairobi ist es sehr gefährlich, mit dem Rad zu fahren, es gibt keine Radwege und die Autofahrenden sind sehr rücksichtslos.
Wenn ich Arbeitgeberin wäre, würde ich meine Mitarbeitenden zum Radfahren ermutigen. Denn Arbeitgebende können viel bewirken, etwa durch sichere Fahrradstellplätze, Duschen oder kleine Belohnungen für Mitarbeitende, die mit dem Rad kommen. Doch es gibt noch große Hürden: Es fehlen öffentliche Fahrradparkplätze. Die wenigen verfügbaren Parkeinrichtungen befinden sich in Einkaufszentren. Dies macht es für Pendler:innen sehr schwierig, da sie sich ständig Sorgen machen müssen, dass ihre Fahrräder gestohlen werden.
Cyclist Lives Matter
Sie haben etwas sehr Ungewöhnliches gemacht in Ihrer Stadt: Sie sind als hochschwangere Radfahrerin durch Nairobi gefahren. Warum?
In Kenia gibt es den Mythos, dass Radfahren Schwangerschaften verhindert. Ich wollte das Gegenteil beweisen und bin bis zum achten Monat geradelt. Die Männer schauten missbilligend, aber viele Frauen fühlten sich ermutigt. Diese Erfahrung treibt mich an, mit unserer Initiative „Kenya Cycling Women“ mehr Frauen aufs Rad zu bringen. Mein Ziel ist es, anderen Frauen das Selbstvertrauen zu geben, mit dem Radfahren zu beginnen.
Es gab sicher auch schwierige Momente beim Aufbau dieser Fahrradbewegung?
Ja, als meine Eltern starben, wollte ich aufgeben. Eine solche Graswurzelbewegung aufzubauen ist mental und emotional erschöpfend. Aber mein Team erinnerte mich daran, dass unsere Mission größer ist als eine einzelne Person.
Welche Schlagzeile möchten Sie bald in der Zeitung lesen?
Ich habe so viele Gedenkfahrten für Radfahrende organisiert, die durch rücksichtslose Autofahrende und schlechte Straßen gestorben sind. Und jede dieser Fahrten nimmt einen Teil meiner Seele mit. Deshalb lautet meine Traumschlagzeile: „Die kenianische Regierung verabschiedet das Gesetz, das für alle Straßen in Kenia eine sichere Infrastruktur für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen vorschreibt.“
Wie haben Sie selbst das Radfahren gelernt?
Mit sechs Jahren, auf einer alten „Black Mamba“ – einem klobigen niederländischen Rad, das viel zu groß für uns Kinder war. Wir steckten unsere Beine durch den Rahmen, um das Gleichgewicht zu halten. So habe ich mich ins Radfahren verliebt.
Herzlichen Glückwunsch, Sie sind unsere neue JobRad-Fahrradheldin. Wer ist Ihr Vorbild?
Janette Sadik-Khan ist meine persönliche Fahrradheldin. Sie ist eine der weltweit führenden Expert:innen für Verkehr und hat als Verkehrskommissarin die Stadt New York transformiert. Ich traf sie kürzlich auf der Velo-City Konferenz, sie erkannte mich sogar in der Menge. Wir machten ein Selfie und sie gab mir ein signiertes Exemplar ihres Buches. Ihre Vision für New York inspiriert mich für Nairobi.
Mehr über die Critical Mass
Die Bewegung entstand 1992 in San Francisco: Radfahrende demonstrieren gemeinsam für ihre Rechte im Straßenverkehr. Die Aktionen werden dezentral über soziale Medien organisiert und finden weltweit statt. Sie verstehen sich als Protest gegen die von Autos dominierte Stadtplanung.
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